Experteninterview: 5 Fragen an Patrick Brauckmann
Unsere moderne Lebenswelt fordert immer mehr flexible Strukturen, und die Wirtschaft verlangt aktiv nach ihnen. Unternehmen müssen ihre Arbeitsweisen anpassen, getrieben durch Digitalisierung und schnell verändernde Marktbedingungen. Dieser Druck macht auch vor der Verwaltung nicht halt: Eine agile Verwaltung verspricht nicht nur höhere Effizienz, sondern auch eine verbesserte Anpassungsfähigkeit an dynamische Anforderungen. Wie aber steht es um die Realisierbarkeit agiler Ansätze in deutschen Behörden? Im nachstehenden Experteninterview wirft unser Experte Patrick Brauckmann einen Blick auf die Herausforderungen und Potenziale der agilen Verwaltung.
#1 Welche konkreten Vorteile bieten agile Methoden in Verwaltungsprozessen im Vergleich zu traditionellen Ansätzen?
In der agilen Verwaltung fördern Prozesse aktiv die offene Kommunikation und Transparenz. Für Behörden ergibt sich daraus eine Vielzahl an Vorteilen. Im Wesentlichen lassen sich die Vorteile agiler Methoden aber auf drei Kernaspekte herunterbrechen: die stärkere Einbindung der Bedürfnisse der Bürger, die beschleunigte Anpassung und Verbesserung von Prozessen sowie den vergrößerten Raum für Innovation.
Die kontinuierliche Zusammenarbeit mit den Bürgern macht Bedürfnisse und Optimierungspotenziale schneller sichtbar. Inkrementelle Prozesse, bei denen Arbeit in kurzen Zyklen erfolgt, ermöglichen es Behörden schnell auf neue Anforderungen und veränderte Nutzerbedürfnisse zu reagieren – insbesondere im Vergleich mit traditionellem Vorgehen. Des Weiteren sind agile Teams oft selbst organisiert. Die einzelnen Mitarbeitenden tragen mehr Verantwortung für ihre Arbeit und haben noch mehr die Möglichkeit, Ideen einzubringen und damit auch Innovationen voranzutragen.
Diese Möglichkeiten bieten sehr hierarchisch angelegte Organisationen nicht, da sie weniger durchlässig sind für Feedback von außerhalb. Agile Methoden leisten auch in hierarchischen Organisationen einen wichtigen Beitrag. Im Idealfall würde die gesamte Organisation agil organisiert werden. Ist dies nicht möglich, beispielsweise aufgrund von gesetzlichen Regelungen, so können punktuelle Veränderungen hin zu mehr Agilität bereits viel bewirken.
#2 Welche spezifischen Herausforderungen können bei der Implementierung von Agilität in der öffentlichen Verwaltung auftreten und wie können diese überwunden werden?
Die Implementierung von mehr Agilität ist für Behörden mitunter komplex. Zunächst gibt es oft starre Strukturen oder gesetzliche Regelungen, die den Methoden und Ideen der agilen Verwaltung entgegenstehen. Mit gezielter Kommunikation und Schulungen können wir Widerständen gegen die Agilität erfolgreich begegnen. Ferner ist es wichtig, die Mitarbeitenden mit den nötigen Fähigkeiten für ein agiles Arbeiten auszustatten. Das umfasst zum einen Methodenkompetenz. Zum anderen spielen auch das Mindset und die Offenheit der Mitarbeitenden gegenüber dem Schritt aus der Komfortzone eine Rolle. Wir müssen unbedingt in Dialog mit den Führungskräften der Verwaltung treten. Wo sehen diese Verbesserungspotentiale aber auch Grenzen für den Einsatz agiler Methoden? Zusammen mit einem modernen Führungsverständnis lässt sich dann schon viel bewegen.
#3 Welche Rolle spielen kulturelle Veränderungen bei der Einführung agiler Methoden in der Verwaltung?
Ganz entscheidend, um die agile Verwaltung umzusetzen, ist eine Kultur der Offenheit. Da agile Methoden die Zusammenarbeit hervorheben, tragen zudem auch eine gute Fehlerkultur und eine Gleichberechtigung von Meinungen und Ansichten zur erfolgreichen Umsetzung bei. Nicht selten ist die Organisationskultur in öffentlichen Verwaltungen nach wie vor geprägt von Hierarchie, festen Strukturen und langwierigen Entscheidungsprozessen. Um diese Kultur auf Zusammenarbeit und Agilität zu richten, erweist sich ein begleitendes Change Management als nützlich. Kernpunkt dabei ist die Kommunikation von Vorteilen und Chancen durch die Einführung von agilen Methoden und Organisationsprinzipien. Nur wenn alle Beteiligten für sich die Vorteile bewerten können, wird es auch eine breite Akzeptanz für die Veränderung von traditionellen Verhaltensmustern geben.
Häufig wird kolportiert, dass nur die Kultur einer Organisation verändert werden müsse. Dann wäre Agilität im Handumdrehe zu erreichen. Ich habe eine andere Erfahrung gemacht: Erst durch das Erleben der Vorteile beispielsweise agiler Methoden kann ein neues Denken wirklich angestoßen und nachhaltig verankert werden. Es muss quasi durch positive Erlebnisse und damit verknüpfte Emotionen entstehen. Ansonsten wird die Veränderung lediglich verordnet werden. Und dann würde sie in der täglichen Praxis schnell durch alte Handlungsmuster überspielt und wäre in der Folge zum Scheitern verurteilt.
#4 Welche Technologien und Tools bieten sich für die Umsetzung agiler Arbeitsweisen in Verwaltungsprozessen an?
Für die Umsetzung agiler Arbeitsweisen in Verwaltungsprozessen bieten sich unterschiedliche Technologien und Tools an. Viel relevanter sind in der Regel ein offenes Mindset und eine gelebte Kultur durch geübte und erfolgsbringende Praxis, die es Mitarbeitenden ermöglicht, Verwaltungsprozesse neu zu denken. Dieser kulturelle Wandel ist entscheidend, um die Vorteile agiler Methoden vollständig zu realisieren und eine erfolgreiche Transformation der Verwaltung zu ermöglichen. In der Folge sollte dann auch eine gesamte Organisation transformiert werden.
Welche Technologien und Tools oder auch welche agilen Frameworks am Ende eingesetzt werden ist immer Einzelfallabhängig. Wichtig ist, zielorientiert auf die zu erbringende Leistung einer Behörde für die Bürger hin zu denken. Dann ergibt sich die Auswahl der Technologien und Tools fast von selbst. Um ein beliebtes Beispiel zu nennen: Benötige ich SCRUM® als Framework tatsächlich oder genügt es nicht, sich einzelner Elemente zu bedienen, um bereits Optimierungspotentiale zu heben?
#5 Inwiefern sollte die Beteiligung der Bürger in den agilen Entwicklungsprozess der Verwaltung integriert werden?
Die Beteiligung der Bürger ist für die agile Verwaltung essenziell. Durch die direkte Einbindung der Bürger, welche die verfügbaren Verwaltungsleistungen letztlich als „Kunden“ in Anspruch nehmen, können Verwaltungsleistungen gezielt auf ihre Bedürfnisse und Erwartungen hin verbessert werden. Das entspricht auch dem agilen Gedanken in kurzen Iterationen aktuelle Optimierungen direkt vom Kunden hinterfragen zu lassen.
Auch für die Mitarbeitenden in den Behörden selbst hat die Beteiligung der Bürger Vorteile. Die Zusammenarbeit stärkt das Verständnis für die Bedürfnisse, Erwartungen und Herausforderungen der Bürger. Dies ermöglicht einen zielgerichteteren Service mit weniger Missverständnissen. Gleichzeitig kann die stärkere Zusammenarbeit mit den Bürgern auch die Motivation der Mitarbeitenden fördern, da diese auch die positiven Ergebnisse der veränderten Arbeitsweisen – quasi am Endkunden – direkt erleben können. Dies schafft auch neue Motivation für neue Verbesserungen. Der berühmte Kulturwandel ist dann vollbracht!
Fazit
Die Zukunft der Verwaltungsarbeit in Deutschland liegt in der Agilität – das macht das Experteninterview mit Patrick Brauckmann unmissverständlich klar. Agile Methoden bieten nicht nur die Möglichkeit, auf die Bedürfnisse der Bürger präziser einzugehen und Verwaltungsprozesse effizienter zu gestalten, sondern sie öffnen auch Raum für Innovation und schnelle Anpassung an sich wandelnde Anforderungen. Während Herausforderungen wie starre Strukturen und eine tradierte Kultur der Beharrung bestehen, zeigen die Einblicke von Brauckmann, dass mit gezielter Kommunikation, Schulung und einem Wandel im Mindset eine agile Transformation möglich ist. Technologie dient dabei als Werkzeug, doch der Schlüssel zum Erfolg liegt in der Kultur und der aktiven Einbindung der Bürger. Agilität in der Verwaltung ist kein fernes Ideal, sondern eine realisierbare Vision, die mit Engagement, Offenheit und dem Mut zum Wandel greifbar wird. Dieses Interview unterstreicht nicht nur die Potenziale agiler Verwaltung, sondern auch die Notwendigkeit, bestehende Strukturen zu überdenken und mutig neue Wege zu beschreiten.