Ein Gericht versendet eine Verfügung ausschließlich elektronisch und Ihr System ist nicht empfangsbereit? Das ist ab 2026 keine Option mehr. Der elektronische Rechtsverkehr (ERV) ist nicht länger Zukunftsvision, sondern Gegenwart. Mit § 173 Abs. 2 ZPO steht nun eine Vorschrift im Fokus, die nicht nur Behörden, Anwälte und Sachverständige betrifft, sondern künftig auch Banken, Versicherungen und andere Organisationen.

Nutzungspflicht im elektronischen Rechtsverkehr: Was §173 ZPO jetzt verlangt und was ab 2026 kommt 

Inhalt

Die gesetzliche Grundlage 

Seit dem 1. Januar 2024 ist die letzte Ausbaustufe des ERV in Kraft. Im Mittelpunkt steht § 173 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO), der die digitale Zustellung von Dokumenten regelt. Besonders relevant ist dabei die Frage, ob aus dieser Regelung nicht nur eine passive Nutzungspflicht, sondern bereits eine aktive Nutzungspflicht entsteht.

Konkret verpflichtet § 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bestimmte Berufsgruppen und Organisationen, einen sicheren Übermittlungsweg – wie etwa das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) oder das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) – für elektronische Zustellungen bereitzuhalten. Genannt werden unter anderem Rechtsanwälte, Notare und Behörden. Darüber hinaus nennt das Gesetz auch „sonstige in professioneller Eigenschaft am Verfahren beteiligte Personen, Vereinigungen oder Organisationen“, wenn von deren „erhöhter Zuverlässigkeit“ ausgegangen werden kann.

Diese offene Formulierung ist bewusst gewählt. Sie lässt den Gerichten Spielraum, um je nach Stand der eigenen Digitalisierung zu entscheiden, wann und für wen eine passive Nutzungspflicht gilt. Denn der technische Fortschritt in der Justiz ist nicht einheitlich und so sollen Gerichte flexibel reagieren können, etwa abhängig vom Digitalisierungsgrad ihrer Geschäftsstellen oder der jeweiligen Verfahrensbeteiligten.

Passive Nutzungspflicht: Der neue Standard oder der aktuelle Standard? 

Ein Beschluss des Landgerichts Augsburg (vom 09.01.2025) bestätigt: Berufsbetreuer müssen zumindest passiv am ERV teilnehmen, da sie regelmäßig mit Gerichten kommunizieren und als verlässlich gelten. Auch wenn das Gesetz bislang keine aktive Nutzungspflicht explizit vorsieht, etabliert sich durch die Rechtsprechung ein praktischer Standard: Wer regelmäßig am Verfahren beteiligt ist, muss digitale Empfangsmöglichkeiten bereithalten. Gerichte haben bereits 2023 begonnen, auf diese Verpflichtung hinzuweisen – die technische Umsetzung verlief jedoch vielerorts schleppend. 2025 zeigt: Der ERV ist kein Zukunftsthema mehr, sondern faktischer Standard im gerichtlichen Alltag.

Aktive Nutzungspflicht: Faktische Realität für bestimmte Berufsgruppen 

Auch das Oberlandesgericht Hamm (Beschluss vom 01.07.2024) verpflichtete eine öffentlich bestellte Sachverständige zur Einrichtung eines elektronischen Postfachs. Der Beschluss stellt klar: Die Gruppe der verpflichteten Personen wird durch die Rechtsprechung anhand von Kriterien wie Regelmäßigkeit des Kontakts mit Gerichten und beruflicher Zuverlässigkeit typisiert.

Neben den ausdrücklich genannten Berufsgruppen (§ 173 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), zählen laut Rechtsprechung auch folgende Institutionen dazu:

  • Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände
  • Verbraucherzentralen
  • Körperschaften und Anstalten öffentlichen Rechts
  • Rentenberater und Gerichtsvollzieher
  • Inkassodienstleister
  • Öffentlich bestellte Sachverständige

Werden Banken und Versicherungen bald zur digitalen Teilnahme verpflichtet?

In der Diskussion um den ERV rückt eine Gruppe zunehmend in den Fokus, die bislang nur selten explizit genannt wird: Institutionen wie Banken und Versicherungen. Dabei liegt ihre Einbindung in den ERV durchaus nahe – vor allem dann, wenn sie regelmäßig in gerichtlichen Verfahren auftreten, zum Beispiel im Rahmen von Mahnverfahren, Vollstreckung oder Zivilklagen.

Spannend ist dabei eine aktuelle Entwicklung: Der Begriff der „professionellen Verfahrensbeteiligten“ wird in der Praxis nicht mehr ausschließlich über die Funktion oder Berufsrolle, sondern zunehmend über die Häufigkeit von Zustellungen definiert. Diese Auslegung wurde bereits in mehreren gerichtlichen Verfahren diskutiert. Zwei Fälle gelten als richtungsweisend.

Schon gewusst?

Die Konferenz der Justizminister (JUMIKO) hat diesen Ansatz bereits 2023 und 2024 aufgegriffen und deutlich gemacht, dass eine passive Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs – also die Bereitstellung eines Postfachs zur digitalen Entgegennahme von gerichtlicher Kommunikation – auch für häufig beteiligte Organisationen sinnvoll und notwendig ist. Ziel ist es, Zivilverfahren zu beschleunigen und die Kommunikation mit Gerichten effizienter zu gestalten.

Ob Banken und Versicherungen im Sinne des § 173 ZPO künftig als „zuverlässige Organisationen“ eingestuft werden, liegt bislang noch im Ermessen der Gerichte. Aufgrund ihrer professionalisierten Strukturen und Compliance-Vorgaben könnte jedoch die Ausweitung auf Banken und Versicherungen in naher Zukunft gerichtlich bestätigt werden. Diese Zukunft ist nicht mehr fern: Mit der flächendeckenden Einführung der E-Akte im Jahr 2026 rückt eine verbindliche digitale Kommunikation für alle regelmäßig beteiligten Akteure nähe als je zuvor.

Ab 2026: Aktive Nutzungspflicht und E-Akte werden zur Regel 

Die Einführung der elektronischen Akte (E-Akte) bringt ab dem 1. Januar 2026 einen entscheidenden Wandel im elektronischen Rechtsverkehr. Was bisher als passive Empfangspflicht galt, wird dann zur aktiven Pflicht für alle Verfahrensbeteiligten und das bundesweit und flächendeckend.

Gesetzliche Grundlage: § 298a ZPO

Die Pflicht zur elektronischen Aktenführung ergibt sich aus dem §298a ZPO, der lautet "Die Akten sind elektronisch zu führen."

Diese Pflicht ergibt sich aus der durch das Gesetz zur Einführung der elektronischen Akte in der Justiz und zur weiteren Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs (vom 5. Oktober 2021, BGBl. I S. 4607) geschaffenen Regelung in § 298a ZPO und entsprechenden Parallelvorschriften in anderen Verfahrensordnungen (z.B. § 46c VwGO, § 55a SGG, § 65a SGG, § 52a FGO).

Mehr zum Thema E-Akte finden Sie auch in unserem weiterführenden Blogbeitrag

Was ändert sich? 

Bis 2025 – passive Nutzungspflicht:
  • Gerichte müssen elektronische Dokumente empfangen können.
  • Beteiligte (z. B. Rechtsanwälte) müssen auf einem sicheren Übermittlungsweg nach § 130 a ZPO einreichen.
  • Die Aktenführung in Papierform ist weiterhin möglich (Hybridmodell).

Ab 2026 – aktive Nutzungspflicht:

  • Alle Gerichte (bundesweit) müssen elektronische Akten führen.
  • Die Papierakte wird vollständig abgelöst.
  • Jeder Ein- und Ausgang (auch Ausdrucke, Scans) muss in der E-Akte dokumentiert werden.
  • Nachgeordnete Pflicht: Die Justiz selbst muss aktiv auf elektronische Kommunikation setzen – also z. B. elektronische Zustellungen bevorzugen.

Das bedeutet konkret für Verfahrensbeteiligte

  • Papierbasierte Schriftsätze sind ab 2026 nur noch in Ausnahmefällen zulässig.
  • Gerichte prüfen elektronische Formverstöße strenger – z. B. nach § 130d ZPO oder § 14b FamFG.
  • Faxübermittlungen gelten künftig als unzulässig, da sie technisch nicht mit der E-Akte kompatibel sind.
  • Wer nicht digital kommuniziert, verursacht Mehraufwand bei den Gerichten und riskiert negative Verfahrensfolgen.

Fazit: Dynamische Entwicklung mit steigender Verpflichtungsdichte

Die passive Nutzungspflicht gemäß § 173 ZPO ist seit 2024 für viele Berufsträger Realität und auch Alltag. Die Rechtsprechung konkretisiert zunehmend, wer dazugehört. Für bestimmte Gruppen (z. B. Sachverständige, Betreuer, Dolmetscher, usw.), zeichnet sich ab dem Jahr 2026 eine faktische Nutzungspflicht ab. Bereits seit 2024 prüfen die Justizministerien in Nordrhein-Westfalen und Bayern die Einführung einer strukturierten, digitalen Vergütungsabrechnung, die nur über das eBO eingereicht werden kann. Dies würde eine aktive Nutzungspflicht durch die technische Abhängigkeit vom eBO nach sich ziehen.

Parallel implementiert die Justiz strukturierte Datensätze im XML-Format und favorisiert den Versand und Empfang. Die Phase der reinen Digitalisierung ist damit abgeschlossen, es beginnt das Zeitalter der Automatisierung. Die Einführung und Nutzung von Künstlicher Intelligenz macht auch bei der Justiz nicht halt und klar ist, dass das Faxgerät hier nicht geeignet ist verwertbare Daten zu übertragen. Die Justiz digitalisiert, und wer sich dem verweigert, riskiert Fristversäumnisse, Kostenentscheidungen und langfristig die Teilnahme am Rechtsverkehr selbst.

Impulse aus dem IT-Planungsrat

Mit dem Beschluss zur Umsetzung der föderalen Digitalstrategie hat der IT-Planungsrat am 26.06.2025 einen wichtigen Schritt in Richtung einer modernen, vernetzten und nutzerzentrierten Verwaltung gemacht. Besonders relevant ist dabei die Entscheidung, den ERV künftig in eine gemeinsame Kommunikationsinfrastruktur des Bundes und der Länder zu integrieren – mit Synergien für Justiz und Verwaltung. Die neue Zielarchitektur, bekannt als „Deutschland-Architektur“ wird derzeit von der Föderale IT-Kooperation (FITKO) gemeinsam mit Bund und Ländern entwickelt. Sie sieht ein zentrales, sicheres Postfachsystem vor – nicht nur für Verwaltungsleistungen, sondern auch für den ERV.

 Vorteile dieser Architektur

  • Standardisierung: Einheitliche Schnittstellen vereinfachen und beschleunigen die Kommunikation mit der Justiz.
  • Effizienz: Gerichte und Kanzleien profitieren von automatisierten Abläufen, Bürger und Organisationen von niedrigschwelligen digitalen Zugängen.
  • Sicherheit: Gemeinsame technische und rechtliche Rahmenbedingungen – z. B. für den Identitätsnachweis – erhöhen die Rechtssicherheit.

Auch aus Sicht der Interoperabilität ist dieser Schritt bedeutsam: Wird der ERV als Baustein in eine föderale Zielarchitektur integriert, kann er flexibel mit anderen digitalen Verwaltungsangeboten zusammenspielen und weiterentwickelt werden – sei es im Bereich der digitalen Aktenführung, der automatisierten Zustellung oder künftig sogar bei KI-gestützten Justizanwendungen.

Der Abschied vom PDF-Format als Übertragungsstandard ist eingeleitet. Bereits vor wenigen Wochen wurde die Behördenaktenübermittlungsverordnung verabschiedet. Sie verpflichtet zur Umsetzung technischer Standards bis 2028. Zur 50. Sitzung des IT-Planungsrats im November 2025 soll ein konkreter Umsetzungsplan vorliegen – einschließlich rechtlicher, technischer und organisatorischer Details.

Fazit: Der ERV, lange als Speziallösung betrachtet, wird zum zentralen Element einer modernen digitalen Rechtsinfrastruktur in Deutschland. Nicht nur ein technisches Update – sondern ein echter Fortschritt für den Zugang zum Recht in der digitalen Gesellschaft.

Schon heute besteht die Möglichkeit diesen Zugang über arveo secom zu nutzen und seit dem 26.06.2025 steht auch fest, dass der Zugang über das elektronische Bürger und Organisationenpostfach (eBO) einen weiteren Mehrwert in der Zukunft bringen wird.

arveo secom: Zukunftssichere Lösung für den digitalen Rechtsverkehr

Mit arveo secom stellt EITCO eine modulare Plattform bereit, die Behörden, Unternehmen und Sachverständige optimal bei der Einführung und Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs unterstützt. Die Lösung ist:

  • ERV-konform: Unterstützt § 130a, § 173 und § 298a ZPO.
  • Verschlüsselter Versand über das OSCI-Protokoll der Justiz.
  • Automatisierbar: Ideal für organisationsweite Integration – auch mit bestehenden DMS- oder Fachverfahren.
  • Zukunftsfähig: Bereit für strukturierte Datensätze (z. B. XML) und KI-gestützte Dokumentenverarbeitung.

Mit arveo secom digitalisieren Sie nicht nur Akten, sondern Sie schaffen eine Grundlage für automatisierte, rechtssichere Kommunikation in der Justizwelt von morgen.